Existenzrechte von Staaten?

 

Von Lawrence el-Samir

 

 

Was ist ein extra betontes Existenzrecht eines Staates? Hat nicht jeder Staat, jedes Volk das uneingeschränkte Recht auf Existenz?

Muss ein Russe das Existenzrecht der USA anerkennen oder umgekehrt? Muss ein Indianer das Existenzrecht der Vereinigten Staaten anerkennen?

 

Interessante Fragen, oder? Die USA wurden von Europäern gegründet, die einen Kontinent eroberten, der ihnen nicht gehörte, die den Großteil der indigenen Bevölkerung (die „Indianer“) in einem langen Völkermordfeldzug auslöschte, und die die Arbeit von Millionen Sklaven ausbeuteten, die brutal aus ihren Leben in Afrika gerissen wurden. Und dabei haben wir noch gar nicht erwähnt, was heute geschieht. Muss also ein indianischer Ureinwohner – oder überhaupt irgendjemand – das Existenzrecht eines solchen Staates anerkennen? Aber niemand stellt diese Fragen. Warum? Die USA kümmern sich einen Dreck darum, ob irgendjemand ihr Existenzrecht anerkennt oder nicht. Sie verlangen dies nicht von Staaten mit denen sie offizielle Beziehungen pflegen.
Warum? Weil dies komplett lächerlich wäre.

 

Doch warum wird immer wieder, trotz völlig fehlender Logik, wie gerade dargelegt, das Existenzrecht eines Israels eingefordert?
Nun ja, die Vereinigten Staaten sind älter als der israelische Staat, und natürlich auch größer und mächtiger. Aber auch Länder, die keine Supermächte sind, verlangen dies nicht. Von Indien zum Beispiel, wird nicht erwartet, Pakistans „Existenzrecht“ anzuerkennen, obwohl Pakistan zur selben Zeit wie Israel gegründet wurde, und dies – wie im Falle Israels auch – auf Grundlage einer ethnisch-religiösen Basis.

 

Also warum wird verlangt, „Israels Existenzrecht“ anzuerkennen? Wenn ein Staat einen anderen „anerkennt“, so handelt es sich dabei um eine formelle Bestätigung eines bereits existierenden Faktums. Dies beinhaltet nicht Zustimmung!

Also warum wird diese seltsame Forderung der Welt angetragen? Warum sollen z.B. die Palästinenser das Existenzrecht Israels als jüdischem Staat in Palästina anerkennen? Reicht es nicht vollkommen, wenn jemand bereit ist, mit seinen Nachbarn Frieden zu schließen, und zwar auf der Grundlage von gemeinschaftlich ausgehandelten Bedingungen und Grenzziehungen.


So scheint die Forderung, die immer wieder an die Palästinenser gestellt wird, keinesfalls ehrlich. Im Hintergrund steht eine politische Absicht, genauer genommen zwei Absichten: Zum einen soll die internationale Gemeinschaft davon überzeugt werden, die Palästinenser bzw. den Staat Palästina (in welchen Grenzen auch immer) unverändert nicht anzuerkennen, und zum anderen soll die Weigerung der israelischen Regierung, sich auf Friedensverhandlungen einzulassen, gerechtfertigt werden.

Oberflächlich gesehen, mag das vielleicht Sinn ergeben, aber in der Realität hingegen nichts von alledem, weil all diese Bedingungen komplett einseitig sind:

1) Die Palästinenser sollen Israels Existenzrecht anerkennen (ohne jedoch dessen Grenzen zugleich definieren zu können), die israelische Regierung hingegen muss nicht das Existenzrecht eines palästinensischen Staates anerkennen.
2) Die Palästinenser sollen dem „Terror“ ein Ende setzen, aber die israelische Regierung muss nicht seine militärischen Aktionen in den besetzten Gebieten beenden oder mit dem Siedlungsbau aufhören.

3) Die Palästinenser sollen die Verträge erfüllen, nicht aber die israelische Regierung, die bisher immer nahezu alle Artikel der Verträge gebrochen hat.

 

Seit Gründung der Hamas (übrigens durch Israel als Gegenpol zu Arafats Fatah!), haben ihre Führer verstanden, dass sie flexibler werden müssen. Sie haben ein offenes Ohr für die Befindlichkeit ihres Volkes. Die palästinensische Bevölkerung sehnt sich nach einem Ende der Besatzung und einem Leben in Frieden. Daher hat sich die Hamas Schritt für Schritt einer Anerkennung Israels angenähert. Ihre religiöse Doktrin erlaubt ihnen nicht, dies öffentlich zu deklarieren (jüdische Fundamentalisten lassen auch nicht von dem Wort „Deinen Nachfahren gebe ich dieses Land“), aber sie hat dies sehr wohl indirekt getan. Ein kleiner Schritt, aber eine große Revolution.

Hamas hat schon vor Jahren seine Unterstützung für die Schaffung eines palästinensischen Staates innerhalb der 1967er Grenze verkündet. Wohlgemerkt nicht statt Israel, sondern an Israels Seite.

Doch reicht es bestimmten Kreisen nicht aus, dass die Hamas Israel de facto anerkennt. Israel besteht darauf, dass sein „Existenzrecht“ auch noch anzuerkennen sei. Politische Anerkennung reicht nicht aus, es bedarf der ideologischen Anerkennung. Getreu dieser Logik könnte man auch gleich verlangen, dass alle Palästinenser doch bitte der zionistischen Bewegung beitreten sollen.

Aber wenn jemand jeden Frieden ablehnt, weil dieser die Grenzen Israels endgültig festsetzen und keine weitere Ausdehnung erlauben würde, dann wird er alles tun, um die Welt davon zu überzeugen, dass ein Boykott der palästinensischen Regierung und des palästinensischen Volkes aufrechtzuerhalten sei.

 

Die Entstehung des Staates Israel (Kurzfassung): Fast 2000 Jahre lang lebte das jüdische Volk in der „Diaspora" (Verstreuung). Ende des 19. Jahrhunderts kam die Forderung in die Welt einen Staat Israel zu gründen. Als Ort dafür wurde Palästina ausersehen, das Land der Väter, in das nach dem Glauben der Messias sein „auserwähltes“ Volk zurückführen werde. Ein von einem Gott ausgewählten Volk? Eigenartigerweise führt die unter den Völkern Terras durchaus nicht seltene Vorstellung für etwas auserwählt zu sein nun aber ausgerechnet dieses eine Völkchen zum Weltherrschaftsanspruch. Dass ihm dies im Gefolge der inszenierten Kriege fast gelingt, gehört zu den bislang spektakulärsten Vorgängen der Weltgeschichte und ist kein Ruhmesblatt für die übrigen Völker Terras. Warum wurde im Laufe der Menschheitsgeschichte diese Wahnvorstellung immer akzeptiert und niemals unterbunden? Warum haben die großen, christlichen Religionen nicht regulierend eingegriffen? Warum wurde Martin Luther diesbezüglich nicht erhört? Im Grunde handelt es sich doch nur um die Angehörigen bzw. um die Nachkommen eines kleinen, genetisch nomadisch geprägten und daher heimatlosen Wandervolkes, das für sich vor Jahrhunderten die ökologische Nische des Händlertums entdeckt hat und von den übrigen, sesshaften Völkern wegen andersartiger Lebenspraktiken mitunter verfolgt wird und deshalb dazu neigt, die ganze Welt als Heimat anzusehen und durch deren Beherrschung, verbunden mit Unterdrückung der anderen Völker, versucht den Spieß umzudrehen.

So haben sich seit dem 12. Jahrhundert immer wieder kleine Gruppen der Auserwählten aus religiösen Gründen in Palästina niedergelassen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkte sich der Zuzug. Die jüdischen Einwanderer kauften Land und begannen, es zu kultivieren. Palästina war nur ein dünn besiedeltes, teilweise unfruchtbares Land, in dem seit dem 7. Jahrhundert nach Null Araber lebten. Es kam zu Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen zwischen Juden und Arabern. Klar! Wer will sich sein Land wegnehmen lassen? Wollen Sie einen Fremden in Ihrer Wohnung aufnehmen, weil die Regierung es so will? Großbritannien erhielt vom Völkerbund das Mandat zur Verwaltung des früher zum Osmanischen Reich gehörenden Territoriums Palästina. Palästina umschloss die Gebiete der heutigen Staaten Israel und Jordanien, den Gazastreifen, das Westjordanland sowie Teile der Golanhöhen. Auftrag des Mandats vom 24. Juli 1922 war die Hilfe zur „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“. Die zugunsten der arabischen und der nichtjüdischen Bevölkerung aufgestellte Bedingung des Mandats war, „dass nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina ... beeinträchtigen würde“. Die Vereinten Nationen, als Nachfolger des Völkerbundes beschlossen dann im Jahre 1947 die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Die Araber aber erkannten den Teilungsplan nicht an.

Als die Briten ein Jahr später das Land verließen, riefen die Juden unter Ben Gurion am 14. Mai 1948 den Staat Israel aus, in einem Land, welches ihnen nicht gehörte. Nach Staatsgründung erfolgte eine massenhafte Einwanderung in dieses künstlich geschaffene Gebilde. Sofort griffen fünf arabische Nachbarstaaten das neugegründete Israel an, das aber einen militärischen Sieg erringen konnte. 1949 verfügte Israel über ein zusammenhängendes Staatsgebiet, das 78% Palästinas gegenüber 57% nach dem UN-Teilungsplan umfasste. Warum darf die UN einfach Gebiete stehlen und anderen zuteilen?

 

Es gab keinen Friedensvertrag, die Waffenstillstandslinien waren nun Israels Grenzen. Seitdem bestehen die arabischen Reste aus zwei unabhängigen Gebieten, dem West-Jordanland und dem Gazastreifen. Beide Gebiete werden seitdem aber auch immer weiter durch israelische Siedlungen weiter beschränkt. In drei weiteren Nahostkriegen (1956, 1967, 1973) konnte sich Israel behaupten (stets mit moralischer Unterstützung der USA und der sog. westlichen Wertegemeinschaft) und sein beanspruchtes Territorium sogar erweitern. Die aktuelle Kriegssituation ist so eigentlich nur die Fortführung der Kämpfe, die seit 1948 nie wirklich beendet wurden.

 

Hinzu kommt, dass alle Bewohner dieser Region weltweit zu den wenigen zählen, die im frühesten Kindesalter aus religiösen Gründen körperlich verstümmelt werden. Da aufgrund dieses traumatischen Erlebnisses, die geistige Entwicklung Schaden nehmen kann – dies beweisen neuste Erkenntnisse, über die diverse Autoren berichten – kommt es im weiteren Lebensverlauf dieser Verstümmelten immer wieder zu schizophrenen Schüben unterschiedlicher Stärke. So werden dann Wahnvorstellungen als Wahrheit angenommen und die echte Wahrheit als Lüge verdrängt! – Was einiges derer Handlungen zwar begründet aber niemals rechtfertigt! So auch der Wille nach ewigem Krieg und fehlende Friedensbereitschaft!

 

 

Terra-Kurier / 22.11-2023